Eigentlich ist die Sache einfach. Das Starship von SpaceX war das technisch beste Angebot und hatte den mit Abstand niedrigsten Preis. Dennoch wurde die Wahl zur politischen Mutprobe.
Am 8. Dezember 2020 lagen der Nasa drei Pläne für Mondlander vor. Zwei davon sollten für eine Mondlandung im Jahr 2024 finanziert werden. Aber die Nasa bekam nur ein Viertel des dafür notwendigen Budgets von der US-Regierung zugesprochen. Das Budget reichte für keinen einzigen Mondlander. Doch dann erschien am 16. April 2021 ein Bericht der Washington Post,, der eine noch unveröffentlichte Kopie des Auswahlberichts der Nasa vorlag. Die Washington Post gehört Jeff Bezos, dessen Raumfahrtfirma Blue Origin einen der geplanten Mondlander in die Auswahl brachte. Noch am gleichen Abend gab die Nasa eine eilig geplante Pressekonferenz.
SpaceX bekam den Zuschlag, den einzigen Mondlander zu bauen. SpaceX bot mit insgesamt 2.941.394.557 US-Dollar den "mit großem Abstand niedrigsten Preis" und das am besten bewertete Angebot. Mit den begrenzten Mitteln der Nasa hatte Kathy Lueders, Verantwortliche für menschliche Raumfahrt in der Nasa und Verfasserin des Auswahlberichts, keine andere Wahl. Selbst so musste mit SpaceX nachverhandelt werden und einige früher geplante Zahlungen auf später verschoben werden. Der Gesamtpreis soll gleich geblieben sein.
Aus dem Auswahlbericht geht hervor, dass SpaceX über den vereinbarten Preis hinaus mehr als die Hälfte der Entwicklungskosten selbst trägt, die auch die Entwicklung des Starships mit der Super-Heavy-Trägerrakete umfassen. Die Leistungsreserven des Systems sollen auch viel weitergehende Missionen auf dem Mond möglich machen, als ursprünglich vorgesehen.
Die Auswahl sorgt für politische Probleme
Dennoch wird die Wahl für Unruhe in der US-Politik sorgen. Noch am gleichen Abend gab sich eine texanische Kongressabgeordnete für die Demokraten, Eddie Bernice Johnson, empört, dass eine so folgenreiche Entscheidung noch vor der Wahl des neuen Nasa-Administrators getroffen wird. Für den Posten wurde Bill Nelson vorgeschlagen. Der 78-Jährige ist ein Freund von Präsident Joe Biden und war maßgeblich für die Entwicklung der überteuerten SLS-Schwerlastrakete verantwortlich und Gegner der kommerziellen Crew- und Raumfrachtverträge, unter denen derzeit auch SpaceX Crew und Fracht zur ISS bringt.
In der ursprünglichen Auswahlrunde zur Entwicklung der Mondlander war SpaceX noch Außenseiter und bekam nur 135 Millionen US-Dollar zur Entwicklung des Starships als Mondlander zugesprochen. Der damals am besten bewertete Lander von Dynetics bekam 253 Millionen US-Dollar. Das meiste Geld bekam aber die "Nationalmannschaft" von Blue Origin mit 579 Millionen US-Dollar, an der mit Lockheed-Martin und Northrop-Grumman alte Raumfahrtfirmen beteiligt waren, die auch schon Komponenten für die erste Mondlandung lieferten.
Bei anderen Vorschlägen gab es Technikprobleme und merkwürdige Zahlungspraktiken
In der zweiten Auswahlrunde fiel der Alpaca-Mondlander von Dynetics in der technischen Bewertung durch. Der Lander ist schon in der Planung zu schwer und würde weniger Nutzlast auf dem Mond landen, als im Vertrag vorgesehen. Noch dazu sah die Nasa große technische Risiken, durch die der Mondlander noch schwerer würde. Die Zweifel wurden durch fehlende Details in der technischen Beschreibung um so größer. Hinzu kam, dass Dynetics den höchsten Preis verlangte, der aber nicht konkret benannt wurde.
Auch bei Blue Origin sah die Nasa Probleme. Die geplante Triebwerkstechnik sei für einen Flug im Jahr 2024 noch nicht ausgereift genug, einige der Triebwerke würden bei der Landung mit Menschen zum ersten Mal überhaupt eingesetzt. Hinzu kommen unerprobte Technologien zur langfristigen Lagerung des flüssigen Wasserstoffs in den Tanks während des Flugs und andere Schwächen, wie die Überlastung der Crew beim Landeanflug und ein technisch nicht funktionierendes Kommunikationskonzept mit der Erde. Der Mondlander wird aber als prinzipiell machbar, nur nicht sehr nachhaltig eingeschätzt. Ein Ausbau für höhere Nutzlasten würde eine fast vollständige Neukonstruktion erfordern.
Probleme gab es auch bei der Bezahlung. Die Nasa verlangte explizit, dass kein Vertrag eine Vorauszahlung ohne Leistung enthält. Laut dem Bericht von Kathy Lueders versuchte der Zusammenschluss von Blue Origin, Northrop-Grumman und Lockheed-Martin das zu umgehen, indem schon das Kick-off-Meeting als erster erfolgreicher Meilenstein definiert wurde. Das gibt einen Einblick in die üblichen Praktiken, die zu den hohen Kosten der Raumfahrt führen. Darüber hinaus versuchte Blue Origin, der Nasa - entgegen den Vertragsbestimmungen - die Rechte an großen Teilen der Software und den gewonnenen Daten aus der Mission vorzuenthalten.
Auch im Vorschlag von SpaceX sieht die Nasa große Schwächen und Probleme für die Einhaltung des Zeitplans, aber die großen Chancen und der von SpaceX demonstrierte Wille überwogen.
Die Nasa sieht im Vorschlag, das Starship vor der Mondlandung in den Erdorbit zu befördern und dort mit weiteren Starships aufzutanken, ein Programm nie dagewesener Größe und Komplexität, mit entsprechend großen Risiken von Verzögerungen. Die Antriebstechnik ist noch nicht ausgereift und der notwendige mehrfache Treibstofftransfer noch nicht demonstriert.
In der technischen Bewertung der Nasa liegt das Starship mit dem Lander von Blue Origin deshalb mit der Bewertung "akzeptabel" nur gleichauf. Trotz der weit überlegenen Nutzlastkapazität, die das Starship bietet, der damit verbundenen Zukunftssicherheit und den großen Treibstoff- und Leistungsreserven in Notfällen. Allerdings lobt die Nasa, dass SpaceX die Schwächen des eigenen Konzepts klar benennt und ein umfassendes Testprogramm vorgelegt hat, das bereits gestartet wurde.
Einen großen Vorteil gegenüber den Mitbewerbern sah die Nasa beim Managementansatz von SpaceX, den sie als außergewöhnlich tiefgehend und durchdacht beurteilt. Dabei spielt auch die Erfahrung der Nasa in der Zusammenarbeit mit SpaceX bei den kommerziellen Fracht- und Crewprogrammen eine große Rolle, die einerseits der Nasa das notwendige Vertrauen in die Fähigkeiten von SpaceX geben und andererseits dem Personal von SpaceX die dafür notwendige Erfahrung.
Nasa erteilt deutliche Absage an die alte Raumfahrt
Die Entwicklung des Mondlanders soll fester Teil der anderen Projekte zur menschlichen Raumfahrt bei SpaceX werden und nicht aus Gründen des Managements oder der Rechnungslegung davon abgegrenzt werden. Die Nasa bewertete außerdem das eigenständige Engagement von SpaceX für das Starship-Progamm sehr positiv, das nicht von staatlichen Zahlungen abhängig gemacht wird und eigene finanzielle Risiken übernimmt.
Eigenes, von staatlichen Behörden unabhängiges Engagement für ein Raumfahrtprogramm ist in der Branche unerhört. Viele Verträge für Technologien wie der SLS-Schwerlastrakete folgten dem sogenannten Cost-Plus-Modell. Dabei übernimmt der Staat alle anfallenden Kosten und zahlt darüber hinaus einen festen Prozentsatz als Profitprämie. Verzögerungen und technische Probleme, die zu höheren Kosten führen, führten gleichzeitig zu höheren Profiten. Es war der Hauptgrund für die technologische Stagnation bei gleichzeitiger Kostensteigerung in der Raumfahrt.
Die Nasa hat mit der Wahl von SpaceX und der Begründung dieser Wahl ein unerwartetes und sehr deutliches Zeichen gegen die Machenschaften von Firmen gesetzt, die kein von staatlichen Zahlungen unabhängiges Engagenment zeigen und sich von ihm am liebsten schon für ein erfolgreiches Kick-off-Meeting bezahlen lassen wollen.
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