Liebe Leserin, lieber Leser,
daran, dass Produktpräsentationen in Zeiten der Pandemie nicht mehr als Vor-Ort-Events stattfinden können, habe ich mich gewöhnt. Aber was ich in den vergangenen Wochen an Online-Neuheiten-Shows gesehen habe, lässt mich dann doch denken, dass wir mittlerweile das nächste Level erreicht haben.
Angefangen haben die virtuellen Produktpräsentationen mit einer seltsamen Huawei-Pressekonferenz im Februar 2020 in Barcelona. Das chinesische Unternehmen wollte eigentlich auf dem Mobile World Congress (MWC) auftreten, doch der wurde wegen der beginnenden Coronapandemie abgesagt. Davon ließen sich Huaweis Manager allerdings nicht bremsen. Schließlich hatten sie ihr Personal schon zwei Wochen vor der Show eingeflogen, damit alle Mitarbeiter die damals verlangte Quarantäne in ihren Hotels aussitzen konnten.
Was den rund 200 bis 300 Menschen im Saal dann aber geboten wurde, war an Absurdität kaum zu überbieten: Über der vollkommen leeren Bühne wurde schlicht ein Film abgespielt, in dem der Chef von Huaweis Mobilsparte, Richard Yu, auf genau dieser Bühne stand, die neuen Smartphones präsentierte und dabei mit einem Klicker die Präsentationsfolien abrief, die parallel dazu auf weiteren Bildschirmen gezeigt wurden.

Nvidia-CEO Jensen Huang, oder?
Foto: NvidiaEin paar Monate später präsentierte Apple bei seiner online gestreamten Keynote zur Entwicklerkonferenz WWDC eine Art Blaupause für die Web-Events der folgenden Monate: eine aufwendig im Voraus produzierte Show, in der im Sekundentakt Neuheiten gezeigt werden. Der kalifornische Konzern versuchte dabei gar nicht erst, den Eindruck zu erwecken, dass da irgendetwas live passiert. Stattdessen wurde zu Anfang Tim Cook gezeigt, der in einem offensichtlich menschenleeren Steve Jobs Theater die Keynote einleitete.
Eineinhalb Jahre nach Huaweis Pseudo-Liveshow in Barcelona hat die ehemalige Huawei-Tochter Honor vergangene Woche gezeigt, wie man es lieber nicht machen sollte. In der auf der Honor-Website und anderen Kanälen als »live« gezeigten Darbietung hielt Honor-CEO George Zhao eine 90-Minuten-Präsentation, die sich durch zwei absurde Stilmittel auszeichnete.
Zum einen waren das wie TV-Werbung wirkende Videoeinspielungen, in denen ein offenbar amerikanischer Sprecher mit sonorer Stimme die gerade präsentierten Eigenschaften der neuen Smartphones erneut anpries. Und zum anderen der Szenenapplaus, der, wie bei einer amerikanischen Sitcom, immer genau im richtigen Moment aufbrauste, immer dieselbe Intensität hatte und nach wenigen Sekunden verebbte. Hätte man diese Einspielungen variiert, sodass sie nicht ganz so statisch wirken, wäre das vielleicht nicht so sehr aufgefallen.
Überhaupt nicht aufgefallen – und deshalb umso effektiver – war hingegen der Stunt, den die auf Chips für Grafikkarten und Rechenzentren spezialisierte Firma Nvidia im April durchzog. Wie in der Branche derzeit üblich hielt Nvidia-CEO Jensen Huang zu Beginn der Veranstaltung eine virtuelle Keynote. Wie virtuell seine Rede tatsächlich war, ist damals niemandem aufgefallen. Erst jetzt hat das Unternehmen den Schleier gelüftet und erklärt: Der echte Chef war nur zu Beginn der Show zu sehen, doch dann übernahm ein vom Computer generiertes virtuelles Ebenbild in einem digitalen Nachbau seiner Küche den Job. Virtueller kann man eine virtuelle Produktpräsentation nicht machen.
So beeindruckend der Coup aus technischer Sicht sein mag, hoffe ich trotzdem, dass das nicht Standard, sondern dass es im kommenden Jahr endlich wieder Events gibt, für die man nicht bloß den Browser öffnen muss.
Obwohl natürlich auch die ihre Vorteile haben. Denn wenn der vom Band eingespielte Applaus zu sehr nervt, kann ich den Browser einfach schließen, die Pressemitteilung abwarten und meine Zeit inzwischen sinnvoller nutzen. Beim Live-Event ist das nicht ganz so leicht.
Fremdlinks: Drei Tipps aus anderen Medien
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