
Liebe Frau Schulze, kommen Sie rein, setzen Sie sich. Wir müssen reden. Es geht um eins Ihrer Kernthemen: um die Artenvielfalt.
Gerade erst hat Ihr Bundesumweltministerium den Bericht zur "Lage der Natur in Deutschland" veröffentlicht. Und Sie persönlich haben klargemacht: Das Artensterben ist fast ausschließlich auf dem Mist (oder der Gülle) der modernen Landwirtschaft gewachsen. "Vor allem in der Agrarlandschaft geht es der Natur [...] besorgniserregend schlecht", werden Sie in einer Pressemitteilung zitiert.
Auch ihre anderen Wortmeldungen zum Thema lassen keinen Zweifel zu: Für das Artensterben sind in Ihren Augen fast ausschließlich die Bauern verantwortlich. Auf deutschen Agrarflächen tanzt der Tod. Und schuld daran ist der Größen- und Intensivierungswahn der hiesigen Landwirtschaft. Kann man so sehen. Muss man aber nicht.
Vor allem dann nicht, wenn man über die Informationen verfügt, die Ihrem Ministerium vorliegen. Beispiel gefällig? Gern.
Nehmen wir den Flächenverbrauch. Gemeint ist der Anteil an der offenen Agrar- und Naturlandschaft, der hierzulande tagtäglich neu für den Siedlungs- und Infrastrukturbau ausgewiesen wird. Das meiste davon verdichten wir und begraben es unter Beton und Asphalt, um Städte, Industrie und Infrastruktur zu erweitern – ganz im Sinne des Wählers, dem sein neues Häuschen mit Kiesvorgarten und raspelkurzem Rasen lieb und teuer ist.
56 ha, liest man auf der Seite Ihres Ministeriums, verlieren wir so jeden Tag – rund 79 Fußballfelder. Aber wieviel ist das denn eigentlich außerhalb der Welt des runden Leders? Kommen Sie, wir rechnen das mal zusammen durch!
Täglich 56 ha summieren sich im Jahr auf 20.440 ha oder 204 km². Das ist knapp die Fläche Ihrer Geburtsstadt Düsseldorf. Mit allen Vororten. Sie erinnern sich doch, wie weit das war von Angermund bis Hellerhof? Jedes Jahr ein knappes Düsseldorf weniger Nutzfläche! Und Sie wundern sich, warum wir eine effiziente Landwirtschaft brauchen?
Wir können aber auch in Brötchen rechnen: Auf 56 ha wachsen in einem Durchschnittsjahr etwa 450 t Weizen. Das sind – so Pi mal Daumen – 9 Mrd. Körner*. Laut der "Sendung mit der Maus" braucht man für ein normales Weizenbrötchen rund 1.150 Körner. Aus 9 Mrd. Körnern könnte man also 7,8 Mio. Brötchen backen. Mit anderen Worten: Rein rechnerisch müsste jeden Tag aufs Neue jeder zehnte Deutsche (Glutenintolerante mal rausgerechnet) auf ein Frühstücksbrötchen verzichten – wenn nicht unsere Landwirtschaft diese Flächenverluste ausgleichen würde.
Oh, Sie sind ja ganz blass geworden, Frau Schulze. Ist Ihnen vielleicht gerade eingefallen, dass die Bundesregierung den Landfraß bis 2020 auf 30 ha am Tag begrenzen wollte? Hat nicht geklappt. Aber Brötchen haben wir zum Glück trotzdem genug. Möchten Sie noch?
* veranschlagt: 80 dt/ha Ertrag und 0,05 g Einzelkorngewicht
July 02, 2020 at 10:00AM
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Milchbrötchenrechnung oder: Warum es effiziente Landwirtschaft braucht - agrarheute.com
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