Runder Tisch statt Treckerdemo: Nach ewigem Streit um den Kurs in der Landwirtschaft suchen Bauern, Umweltschützer, Handel und Wissenschaft ab heute gemeinsam nach Lösungen. Die Erwartungen sind hoch, und viel Zeit ist nicht.
Von Claudia Plaß, ARD-Hauptstadtstudio
Tausende Bauern demonstrierten in den vergangenen Monaten gegen Umwelt- und Klimaschutzauflagen und für mehr Anerkennung ihrer Arbeit. Auf der anderen Seite beklagen Umwelt-, Tier- und Verbraucherschützer Probleme beim Insekten- oder Grundwasserschutz und kritisieren die Haltungsbedingungen für Schweine, Rinder und Geflügel. Um die Landwirtschaft in Deutschland gibt es seit Jahren viel Streit, auch zwischen den zuständigen Ressorts in der Bundesregierung: dem CDU-geführten Landwirtschaftsministerium von Julia Klöckner und dem SPD-geführten Umweltministerium von Svenja Schulze.
Eine Expertenkommission soll jetzt einen Konsens erarbeiten. Heute trifft sich die neue "Zukunftskommission Landwirtschaft" zu ihrer Auftaktsitzung. Rund 30 Vertreterinnen und Vertreter unter anderem von Landwirtschaft, Handel, Verbraucher- und Umweltschutz und aus der Wissenschaft kommen zusammen - um neue Antworten zu finden im Dauerkonflikt um die Ausrichtung der Landwirtschaft.
Hohe Ziele
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte das Gremium angesichts der Bauernproteste im vergangenen Jahr auf einem Agrargipfel vorgeschlagen. Im Juli beschloss das Bundeskabinett, die Kommission einzusetzen. Im entsprechenden Beschluss heißt es: Die Kommission solle Lösungen entwickeln, die "wirtschaftlich, ökologisch und sozial tragfähig sowie gesellschaftlich akzeptiert sind."
Klöckner bleibt vage
Die Kanzlerin wird auch bei der heutigen Sitzung dabei sein, ebenso die beiden Ministerinnen Klöckner und Schulze. CDU-Politikerin Klöckner formulierte die Ziele eher allgemein: Es gehe um ein gemeinsames Verständnis darüber, "wie wir mehr Biodiversität, Klima und Umweltschutz, mehr Wirtschaftlichkeit, Ertragserntesicherung und mehr Tierwohl zusammen bekommen. Es geht am Ende darum, Ressourcenschutz und Wirtschaftlichkeit als zwei Seiten einer Medaille zu sehen."
Schulze will Gesellschaftsvertrag
Nach Ansicht von SPD-Politikerin Schulze zeigen die Bauernproteste der vergangenen Monate, wie wichtig der Dialog zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz ist. Sie will, ähnlich wie bei der Kohlekommission, einen gesellschaftlichen Konsens auch in der Landwirtschaft erreichen. Schulze spricht gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio von einer Art Gesellschaftsvertrag: "Landwirtinnen und Landwirte bekommen zusätzliche finanzielle Unterstützung, um hochwertige Lebensmittel herzustellen, aber wir erwarten gleichzeitig, dass sie die Umwelt schützen, das Grundwasser, den Boden. Und das muss zusammengebracht werden."
Die Themenliste der Kommission ist lang und thematisch weit gefasst: Das Gremium will unter anderem über Düngung beraten, über Gewässer- und Pflanzenschutz, über Kräfteverhältnisse in der Lebensmittelkette, über Vorgaben für die Tierhaltung, über die Rolle der Verbraucher.
Bauernverband will "auf Fakten schauen"
Zu den Mitgliedern der Kommission gehört auch der Deutsche Bauernverband. Dort zieht man zwar nicht den Vergleich zur Kohlekommission - die Erwartungen sind trotzdem hoch: Generalsekretär Bernhard Krüsken spricht gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio von einer Zuspitzung und Polarisierung in der Debatte um die Landwirtschaft: "Die Zukunftskommission muss diese Debatte in eine Sachorientierung bringen. Wir müssen sozusagen ein bisschen auf die Fakten schauen."
Optimistisch zeigt sich Olaf Bandt, Vorsitzender der Umweltorganisation BUND und ebenfalls Kommissionsmitglied. Er setzt auf eine Zukunftsperspektive für die Landwirtschaft, in Einklang mit Natur und Tierschutz - und mit gesicherter Existenz für die Höfe. "Wenn man von den Landwirten will, dass sie nachhaltig produzieren und Qualitätsprodukte herstellen sollen, dann muss das auch besser bezahlt werden. Das wäre ein zentraler Lösungsschritt in dieser Kommission."
Skepsis bei den Grünen
Weniger optimistisch ist die Opposition. Skepsis kommt von den Grünen: Die Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft stehe, seien drastisch. Es gehe nun unter anderem darum, bäuerliche Strukturen zu erhalten und landwirtschaftliche Erzeugung zu regionalisieren. Die FDP fordert, die Kommission müsse beim Tierwohl und beim Ackerbau einheitliche Standards in der gesamten EU in den Blick nehmen.
Viel zu tun, aber wenig Zeit
Um die zum Teil gegensätzlichen Vorstellungen und Erwartungen zusammenzubringen, gibt es nicht viel Zeit: Anfang kommenden Jahres soll die Zukunftskommission Landwirtschaft erste Vorschläge vorlegen. Umweltministerin Schulze spricht von einem ambitionierten Zeitplan, gibt sich aber auch hier zuversichtlich: Auch bei der Kohlekommission habe man innerhalb kurzer Zeit mit Vertretern vieler unterschiedlicher Interessen diskutiert. Sie hofft auf schnelle erste Ergebnisse. Schließlich, so die Ministerin, stünden große Weichenstellungen an: Auch auf europäischer Ebene gehe es derzeit um eine zukunftsfähige Landwirtschaft.
Ob die jetzige Bundesregierung die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft umsetzen wird? BUND-Chef Bandt ist mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Herbst skeptisch. Er sieht aber auch eine Chance. Die Perspektive für die Landwirtschaft sei eine zentrale Zukunftsfrage, die auch in einer Bundestagswahl mit entschieden werden könne.
Der Abschlussbericht soll laut Landwirtschaftsministerium im kommenden Sommer vorliegen. Die Empfehlungen umzusetzen, dürfte dann wohl Aufgabe einer neuen Bundesregierung sein.
September 07, 2020 at 09:59AM
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