Die Spieler des FC Bayern wirkten angefasst. »Das ist eine emotionale Geschichte für uns, die wir als Mannschaft so verarbeiten und aufnehmen müssen, weil wir doch eine schöne und erfolgreiche Zeit hatten«, sagte Kapitän Manuel Neuer. Und auch Thomas Müller wirkte bewegt angesichts der Nachricht, die ihnen Hansi Flick kurz zuvor nach dem 3:2-Sieg in Wolfsburg in der Kabine mitgeteilt hatte. »Begründet hat er es nicht, er muss es auch nicht begründen«, sagte Müller, »nur, dass er natürlich sehr viel Energie gelassen hat in den intensiven eineinhalb Jahren. Trainer des FC Bayern, da braucht man ein dickes Fell.«
Ein Fell, das Hansi Flick nun abstreifen darf: Er, für den es anfangs vor allem eine Ehre gewesen war, etwas unverhofft diesen großen Klub trainieren zu dürfen und ihn zu triumphalen Erfolgen zu führen. Für den diese Aufgabe in den vergangenen Monaten gerade in seinem Konflikt mit Sportvorstand Hasan Salihamidžić aber immer mehr eine Bürde und eine Belastung wurde. Flick wusste, dass in der Zukunft ein gemeinsames Miteinander undenkbar würde. Und deswegen wirft er nun hin.
Öffentlich angedeutet hatte sich die Trennung seit Anfang März, als Joachim Löw seinen Rücktritt als Nationaltrainer nach der EM im Sommer verkündet hatte. Sofort fiel der Name Flick als ein möglicher Nachfolger. Während andere Kandidaten wie Jürgen Klopp oder Julian Nagelsmann mögliche Ambitionen umgehend dementierten, wand sich Flick um klare Antworten. Ob er auf den Posten schiele, ob er seinen Vertrag bei den Bayern bis 2023 erfülle, diese Fragen häuften sich – und Flick verweigerte ein klares Bekenntnis zum Verein.
Salihamidžić-Transfers Roca, Sarr und Costa spielen nicht
Kämpfen musste Hansi Flick vom ersten Tag an. Er war nie der Wunschkandidat, den man hofierte und bauchpinselte wie einst Pep Guardiola, den die Klubbosse Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge in seinem Appartement in Manhattan umgarnten, um ihn zum FC Bayern zu holen. Flick war nach dem Rauswurf von Niko Kovac im November 2019 erst eine Interimslösung für zwei Spiele, dann ein Übergangstrainer bis zur Winterpause, schließlich bis zum Ende der Saison.
Wirkliche Wertschätzung erfuhr er nur einmal, im Februar 2020, als Rummenigge ihm nach dem 3:0 beim FC Chelsea eine Vertragsverlängerung in Aussicht stellte. Tatsächlich unterzeichnete Flick wenig später ein Arbeitspapier bis 2023. Doch spätestens mit der Kaderplanung für die im Sommer 2020 beginnende Saison erkannte Flick seine begrenzte Macht. Er bekam nicht die Spieler, die er sich wünschte, sondern die, von denen Salihamidžić glaubte, sie würden den FC Bayern weiterbringen. Spieler wie Marc Roca, Bouna Sarr oder Douglas Costa, die seitdem, sofern sie nicht verletzt waren, bei Flick einen festen Platz hatten. Und zwar auf der Ersatzbank. Der Graben zwischen Trainer und Sportvorstand vertiefte sich.
Wenn der letzte Vertraute geht
Flick erkannte, dass er trotz dieser phänomenalen sechs Titel, die er innerhalb weniger Monate mit der Mannschaft geholt hatte, nicht so wird gestalten dürfen, wie er das gerne hätte. Dass ihm Grenzen gesetzt werden. Dass der Kader, dem er schon in dieser Saison einen Qualitätsverlust bescheinigte, am Ende noch ein Stück schwächer und schlechter würde. Kurz, es gab für ihn immer weniger Argumente, bei den Bayern zu bleiben, zumal mit Rummenigge am Jahresende auch sein engster Vertrauter und Verbündeter in der Klubspitze den Verein verlassen wird.
Nur Rummenigge war es, der Flick zuletzt öffentlich den Rücken stärkte, der sagte, natürlich werde der Trainer seinen Vertrag erfüllen. Alle anderen waberten nebulös herum, Salihamidžić wie Vorstand Oliver Kahn und auch Präsident Herbert Hainer. Als käme es ihnen nicht ungelegen, Flick ziehen lassen zu können.
Deswegen war es auch nicht Löws Rücktrittserklärung, die den Stein ins Rollen brachte. Die Lawine war bereits unaufhaltsam unterwegs, man hatte ihr Donnern bis dahin nur noch nicht so laut gehört. Vernommen wurde das Getöse erst, als Flick seitdem immer wieder zu einer Zukunft beim DFB gefragt wurde. Selbst wenn Löw nach der EM als Bundestrainer weitergemacht hätte, auch dann hätte Flick sich wohl von den Bayern verabschiedet. Nur hätte es sich dann nicht so wie in den vergangenen Wochen immer stärker angedeutet, es wäre dann wohl ein echter Paukenschlag gewesen.
Werben die Bayern nun um Nagelsmann?
Und wie es für die Bayern nun weitergeht? Als Favorit auf die Flick-Nachfolge gilt weiter Julian Nagelsmann, ob und zu welchen Konditionen ihn RB Leipzig ziehen lassen würde, ist freilich noch offen. Auch andere Namen kursieren, Ralph Hasenhüttl etwa, der Trainer des FC Southampton, der schon nach dem Kovac-Aus in München gehandelt wurde. Oder mal wieder ein internationaler Erfolgscoach wie der streitlustige Jose Mourinho, auf dessen Kompetenzgerangel mit Salihamidžić man schon jetzt gespannt sein dürfte? Oder doch Ex-Spieler Xabi Alonso, der kürzlich in Gladbach im Gespräch war und seinen Vertrag bei Real Sociedad verlängert hat?
Egal, wer kommt, für die Mannschaft ist Flicks Abschied ein schwerer Tiefschlag. Es dürfte Motivation sein, Flick zum Ende noch einen letzten Titel zu schenken. Jedoch ließen Führungsspieler wie Robert Lewandowski, Manuel Neuer, Thomas Müller zuletzt unisono durchblicken, dass sie die letzten Jahre vor dem Ruhestand bis zum Karriereende gerne unter Flick arbeiten würden. Dass sie noch einmal eine Ära prägen wollten. Stattdessen wurde es nur eine 18-monatige Kurzepisode. Egal, ob er Bundestrainer wird oder nicht:
Für Hansi Flick ist der Abschied aus München eine große Befreiung.
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